Dieses Kleid ist eine etwas freiere Arbeit, in der ich zwei verschiedene Leinenstoffe, einem sehr dünn gewebten, transparenten und einem etwas fester gewebten, verwenden möchte.
Den dünn gewebten Leinen hatte ich letztes Jahr zu einer Rokoko-Chemise verarbeitet, aber nicht vollendet, weil der Stoff so dünn ist, dass die Auszier, die Spitze, daran nicht richtig gehalten hat – sie war einfach zu schwer. Also hatte ich neuen Leinen gekauft, der mir dann aber wieder zu dicht gewebt war und so wanderte er in meine Vorräte. Letztlich hatte ich noch einen weiteren bestellt, der genau richtig war und aus diesem die Chemise gemacht.
Der erste bot noch reichlich Material, aber nicht genug für ein anderes Kleid, das ich in Planung hatte. Vom zweiten hatte ich drei Meter, also mehr als genug. Einen fertigen Schnitt gibt’s keinen.
Die Idee: Ein Kleid, das aussieht, als bestünde es aus einem Oberteil mit Latz und einem Rock, also zwei- bis dreiteilig, tatsächlich aber nur ein Teil ist.
Aus dem dünnen Leinen soll eine Art Shirt werden und ein Mittelteil, das Oberteil und Rockteil miteinander verbindet. Aus dem festeren Leinen werden ein Latz und ein Rock.
Schnittentwicklung
Ich starte mit meinem persönlichen Grundschnitt und entwickle daraus einen passenden Schnitt. Das Oberteil ist zerlegt in das Shirt, den Latz und das Mittelstück. Den Rock werde ich separat zeichnen.
Im Vorderteil habe die oberen Brustabnäher zusammengelegt, bzw. in die Seiten verlegt, vorerst. Der obere Teil ist für das Shirt und bedarf keiner weiteren Abnäher. Der mittlere Teil ist der „Latz“. Da habe ich den Seitenabnäher dann doch wieder nach unten verlegt. Der untere Teil ist das Zwischenstück von Ober- und Rockteil. Die schmalen Dinger sind die Belege für den Latz.
Biesen nähen
Bevor es jetzt an den Zuschnitt geht, muss ich noch einige Vorbereitungen treffen. Das Mittelteil aus dem dünnen Leinen soll in der Längsrichtung Biesen bekommen. Dafür habe ich mir Baumwollstrickgarn besorgt. Das habe ich auf Maß geschnitten und muss nun die einzelnen Garnabschnitte schön, Linie für Linie, mit einer Zwillingsnadel unter den Stoff bringen.
Ich hatte ja erst vor, die Biesen im Taillenbereich enger zusammen laufen zu lassen. Aber nach einer Probe auf einem Reststück habe ich mir das geschenkt, weil sich der Stoff unheimlich schnell verzieht und ein korrektes Arbeiten somit nur einer massiven Selbstgeißelung gleichkommt. Also verzichte ich auf die Abnäher im Taillenbereich und nähe die Streifen gleichmäßig unter.Das Mittelteil mit den Biesen konnte ich noch aus einem Reststück arbeiten. Es lohnt sich doch, Reste aufzuheben!
Aber für die anderen Teile aus dem dünnen Leinen musste ich meine Chemise zerlegen. Eine wirklich „dankbare“ Aufgabe: Handgenäht, mit feinen Stichen und einem Baumwollgarn, das sich kaum von den Leinenfasern abhebt. Da weiß ich, warum ich meine eigenen Sachen so ungern trenne.
Das Biesenteil habe ich noch mal sorgfältig gebügelt und versucht Kette und Schuß wieder auf Linie zu bringen. Dann habe ich die Schnittteile vorsichtig aufgesteckt um nichts zu verziehen, eine Hälfte mit Nahtzugaben geschnitten, die Schnittteile umgedreht, wieder gesteckt und die andere Hälfte geschnitten. Die Ärmel gingen auch aus dem Reststück raus.
Der feine Leinen in Bearbeitung
Die Schulter- und Seitennähte habe ich als Kappnähte gearbeitet: erst mit der Maschine zusammengenäht und dann mit der Hand die Kappnähte genäht. Der Stoff ist von der Webart nur wenig dichter als Mull, da habe ich das Material mit der Hand einfach besser im Griff. Die Ärmel sind mit einer französischen Naht angesetzt, da gingen beide Nähte mit der Maschine. Den Halsausschnitt habe ich mit einem Schrägstreifen aus dem Leinen eingefasst: auch hier ist die erste Naht mit der Maschine gemacht und der Rest mit der Hand.
Fertigstellung des Oberteils
Der Latz ist im Zuschnitt schon einfacher. Zusätzlich noch schneide ich noch vier Streifen für die Träger zu. Diese Teile kann ich jetzt auch mit der Maschine nähen, da geht es schneller voran. Ich bin ja auch selbst immer sehr neugierig, was nachher rauskommt – das ist eigentlich der Hauptgrund, warum ich nähe.
Erste Anprobe
Von der Weite her ist es okay, aaaber …
Punkt 1: die Träger sind zu lang – das ist kein Problem, die können eingekürzt werden.
Punkt 2: dieser D-Ring-Verschluß gefällt mir nun gar nicht.
Punkt 3: der Latz ist noch zu durchsichtig – Futter oder Doppeln? Ich tendiere zum zweiten.
Punkt 4: Proportional finde ich den Latz zu kurz.
Punkt 5: Laaangweilig! Öööde! Eingeschlafene Füße!
Die letzten beiden Punkte sind die entscheidenden Argumente, den Latz anders zu gestalten: er muss peppiger werden, länger und gedoppelt. Mit den Trägern bin ich etwas uneins mit mir: Vorne kürzere Träger und dann mit den hinteren verknoten? Oder Schiebeschnallen? Clips?
Wobei die Verschlussart erstmal nicht so wichtig ist, diesen Punkt kann ich getrost auf später verschieben. Die Länge zu ändern ist auch nicht die Sache, das ist recht simpel. Die Frage ist: wie kann das Oberteil interessanter werden?
In Bezug auf den Latz habe ich also die Puppe angestarrt, meinen Geist geöffnet und schweifen lassen, Inspirationen gesucht und bin zu einem Ergebnis gekommen. Frei nach dem Motto: „Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht“ den Latz-Schnitt noch mal neu gemacht und nach unten um 4 cm verlängert.
Da ist jetzt puzzeln angesagt.
Ich habe die Fläche mehr oder weniger willkürlich unterteilt. Dabei kann ich die Brustabnäher auch schön in alle möglichen Richtungen verteilen – ich finde, das formt die Brust auch etwas weicher als ein einziger Abnäher. Der neue Plan ist ein „Flicken“-Werk im Used-Look, der sich sehr gut mit dem Material Leinen verträgt. Dieses Prinzip würde ich dann auch auf den Rock übertragen.
Da mach‘ ich mich mal ans Zuschneiden … Die Methode ist jedenfalls bestens geeignet, um auch Zuschnittreste zu verwerten.
Ich hatte mir vor dem Stecken die „Puzzleteile“ so hingelegt, wie sie zusammengehören. Beim Zuschnitt haben die Außenkanten 1 cm Nahtzugabe, die Kanten, die aufeinander treffen nur 0,5 cm. Nach dem Zuschnitt ist jedes Teil wieder dort hingekommen, wo es hingehört. Für das Zusammennähen konnte ich auch nur Stück für Stück vorgehen. Dafür habe ich Markierungen an den Stellen gemacht, die aufeinander liegen.
Jetzt kann der alte Latz von Shirt und Mittelteil getrennt werden, die neuen Latzteile hatte ich für die Ansicht nur drüber gesteckt.
Die Belege für den Latz hatte ich zunächst gegen genäht und nach innen umgeschlagen. Das sah aber doof aus. Also habe ich die Belege wieder abgetrennt, von innen gegen gelegt und die Kanten ebenfalls mit einem Zick-Zack-Stich verbunden. Den Überstand an „Nahtzugabe“ habe ich ausgefranst. Das ergab einen einheitlicheren Look.
Der Oberrock
Nun geht es an die Konstruktion des Rockes. Ein bisschen bauchig soll er sein und darunter soll noch ein weiteres, glockig geschnittenes, Rockteil kommen.
Eine weitere Frage ist die der Taschen. Ich brauche Taschen: für Zettel, Schlüssel oder mal ein Taschentuch. Erst hatte ich mir gedacht, die Taschen in die Seitennaht zu legen und auch darüber gesonnen, wie ich das mit zwei Lagen Rock bewerkstelligen soll. In Anbetracht dessen, dass der Oberrock sowieso ein „Flickenwerk“ wird, werde ich aber aufgesetzte Taschen machen. Damit ist dieser Punkt auch schon geklärt.
Was bei dem Latz noch als Puzzle zu bewältigen war, erweist sich beim Rock schon als echte Herausforderung. Da einige Teile nicht direkt zusammenpassen, müssen sie „päckchenweise“ zusammen genäht werden, also mit reiner Willkür würde das Zusammensetzen schwierig. Im Grunde muss eine gewisse horizontale und vertikale Ordnung vorhanden sein. Meine fertigen „Päckchen“ lege ich schön ordentlich auf die Schnittteile, damit bloß nichts durcheinander kommt bis zum finalen Zusammennähen.
Nachdem nun alle „Flicken“-Teile genäht sind, werden die Seitennähte geschlossen. Die lege ich, wie die Flicken, übereinander und verbinde sie mit einem Zick-Zack-Stich; die Kanten werden wieder ausgefranst.
Zweite Anprobe
Die abgetrennten Stücke aus dem Oberteil, Shirt und Mittelteil, verbinde ich mit dem Latz und dem Rock, zunächst nur mit Heftgarn. Bei der zweiten Anprobe geht es um die Passform. Wie zu erwarten, wirkt sich die Verlängerung des Latzes um 4 cm auf die Taillenlage aus. Das Mittelteil muss nach oben um eben diese 4 cm eingekürzt werden, damit die Taille wieder an der richtigen Stelle sitzt. Diese Mehrlänge mit den Nadeln eingehalten, lässt den Rock knapp oberhalb der Hüfte sitzen, was soweit auch geplant war.
Es folgt noch ein kleiner Gimmick: Mit einem Reststück des dünnen Leinens greife ich die Biesen aus dem Mittelteil nochmals auf und fertige einen asymmetrischen Rand für den Rock. Nach dem Prinzip des Cut-Outs positioniere ich den Rand auf dem Rock, schneide den so bedeckten Teil des Rockes weg und füge den Rand stattdessen an.
Fertigstellung
Es fehlt noch die Tasche; die wird mit einem Zick-Zack-Stich aufgesetzt und die Kanten wieder ausgefranst. Schwierig wurde dagegen die Entscheidung der Art des Verschlusses an den Trägern. Ich hatte die Auswahl zwischen diversen Knöpfen, Clips und auch Leiterschnallen, aber keines war wirklich überzeugend. Letztlich habe ich mich entschieden, die Träger mit groben Stichen vorne anzunähen. Da sie nur eine dekorative Funktion haben, fand ich das, in Bezug auf den Gesamteindruck des Kleides, eine passende Lösung.
Insgesamt war es viel Arbeit und mein Bedarf an Patchwork ist für nächste Zeit mehr als gedeckt. Die Kombination von zwei verschiedenen Leinenstoffen mit Biesen und Flicken ergeben eine interessante Optik, die reichlich Potential für unterschiedliche Kleidungsstücke bietet.