Bei aller Erfahrung im Metier, stößt man doch ab und zu auf unerwartete Herausforderungen. Je nach Tageslaune kann man das doof oder spannend finden, nichtsdestotrotz muss eine Lösung her.

Es fing alles mit dem Entwurf einer Sommerbluse an, deren Schößchen wellenartig an das Oberteil angefügt wurde. Wegen des leichten Stoffes war die französische Naht meine Wahl der Verarbeitung. Die Rundungen waren ja schon an der Grenze dessen, was mit dieser Art der Nahtverarbeitung möglich ist, bis ich an die Ärmel kam. Das Oberteil hatte angeschnittene Ärmel, an die Puffärmel aus Organza angesetzt werden sollten. In einem Winkel! Und da guckte ich erstmal etwas überrascht aus der Wäsche … denn es funktionierte nicht wie gewohnt. Also, Stoffreste raus und testen, testen, testen.

Die einfache französische Naht

Zum Einklang auf das Thema stelle ich die französische Naht erstmal vor – zur Erinnerung oder zum Kennenlernen.

Wir nehmen zwei Streifen gleicher Länge …

… und legen sie links auf links aufeinander, also die „schönen“ Seiten sind außen. Meine Nahtzugabe beträgt einen Zentimeter.

Mit einem halben Zentimeter Abstand werden die beiden Streifen zusammengenäht.

Die Nahtzugaben werden bis auf ca. 3 Millimeter zurückgeschnitten. Dieser Rückschnitt ist notwendig, damit später keine Fädchen aus der Naht herausschauen.

Die Nahtzugaben werden auseinander gebügelt …

… und an der Nahtkante umgeschlagen und ebenfalls gebügelt.

So sieht das dann aus.

Nun wird nochmal mit einem halben Zentimeter Abstand an der Kante entlang gesteppt.

Zum Abschluss bügelt man die Naht in eine Richtung aus.

Durch die doppelte Naht ist diese Art der Verarbeitung besonders stabil und eignet sich am ehesten für sehr feine und leichte Stoffe, die mit einer normalen Naht zu schnell belastet würden.

Wie näht man eine französische Naht um die Ecke?

Die französische Naht ist an sich ja keine große Herausforderung. Für die Ecke jedoch braucht man ein wenig Vorbereitung und muss sehr präzise arbeiten. Die Nähte werden hintereinander genäht, da es leider nicht an einem Stück geht.

Zunächst zeichnet man sich die Nahtzugabe an (hier: 1 cm). An der Stelle, an der sich die Linien kreuzen, ist der Drehpunkt.

Man kann sich auf der rechten Seite des einzusetzenden Teils ebenfalls den Drehpunkt markieren, und, wenn man möchte, die erste Nahtlinie von 0,5 cm Abstand zur Kante.

Es wird exakt von dem Drehpunktlinie aus bis zum Ende der Naht genäht.

Hier noch die Ansicht auf die andere Seite, ich nenne sie mal Eckteil.

Nun wird, und zwar nur im Eckteil (!), von der inneren Ecke bis sehr knapp vor den Drehpunkt eingeschnitten. Die Naht darf nicht beschädigt werden und der Schnitt auch nicht seitlich von der Naht enden.

Die Detailansicht zeigt den Schnitt deutlicher.

Die Nahtzugaben werden bis auf 3 mm eingekürzt und auseinander gebügelt.

Die Nahtkante wird umgebügelt.

Die zweite Naht beginnt am Drehpunkt, ebenfalls mit 0,5 cm Abstand.

Es folgt ein weiterer Einschnitt: Auch dieser wird nur im Eckteil eingeschnitten, und zwar von der Kante der Naht bis zum Drehpunkt. Präzision setze ich wieder voraus. ;)

Die ums Eck liegende Kante wird auf das Eckteil gelegt, wieder links auf links. Die erste französische Naht wird zur Nahtseite gelegt.

Die Kanten werden ebenfalls mit 0,5 cm Abstand zusammengesteppt. Dabei darf der „Zipfel“ von der ersten Naht nicht mitgefasst werden.

Jetzt kommt wieder diese Sache mit dem Einkürzen und Bügeln usw. – ihr wisst schon …

Der „Zipfel“ von der ersten Naht liegt ein wenig blöd rum, also wird dieser durch das Loch auf die andere Stoffseite gedrückt – dafür kann man einen Kantenformer nehmen oder es vorsichtig mit der geschlossenen Scherenspitze machen.

So sieht es nun auf der anderen Stoffseite aus.

Der Stoff wird wieder an der Nahtkante umgebügelt.

Wenn sauber gearbeitet wurde, liegt die Kante genau 0,5 cm über dem Drehpunkt und der letzten Nahtlinie.

Die letzte Naht wird genäht und dabei dann auch der „Zipfel“ mitgefasst.

Die Ecke und die französischen Nähte können nun endgültig ausgebügelt werden.

Und noch ein letzter Blick auf die Rückseite. Schaut doch soweit ganz gut aus. :)

Update: Die Ecke noch sicherer machen

Insgesamt bin ich mit dem Ergebnis noch nicht wirklich zufrieden, da mit der letzten Naht nur ein schmaler Streifen des Stoffes die Ecke sichert. Die Ecke ist bei Belastung also nicht richtig stabil. Ich habe mir also nochmal die Einschnitte vorgenommen und versucht einen Weg zu finden, der dieses Manko behebt. Hier nun die optimierte Variante:

Die Nahtzugaben und der Drehpunkt sind wiederum auf dem Eckteil eingezeichnet.

Das einzusetzende Teil wird links auf links auf das Eckteil gelegt. Wer möchte, kann sich nochmal auf dem Einsatzteil die Nahtlinien und die Markierungen aufzeichnen.

Diesmal beginnt die erste Naht nicht am Drehpunkt, sondern ca. 3 mm davor.

Der Einschnitt in das Eckteil erfolgt trotzdem bis zum Drehpunkt – hier die theoretische Schnittlinie …

… und der praktisch ausgeführte Schnitt.

Der weitere Verlauf ist wie schon im Hauptteil beschrieben: zurückschneiden, bügeln, umbügeln. Die zweite Naht beginnt jetzt wieder an dem Drehpunkt.

Der zweite Einschnitt erfolgt nun schräg zum Drehpunkt, so dass eine kleine Ecke entsteht. Der Schnitt wird ebenfalls nur in dem Eckteil gemacht. Dadurch, dass die erste Naht 3 mm hinter dem Drehpunkt begann, haben wir im Nahtbruch eine Lücke, die das ermöglicht.

Die weitere Verarbeitung entspricht dann wieder der Beschreibung im Hauptteil dieses Artikels.

Wie deutlich zu sehen ist, liegt das kleine Stoffdreieck exakt auf der abschließenden Nahtlinie. Dadurch ist die Ecke deutlich besser gesichert, als bei der vorhergegangenen Methode.

Der Rest ist wieder Routine: Rückschnitt, bügeln, umbügeln, den „Zipfel“ auf die andere Stoffseite drücken.

Die letzte Naht beginnt wieder am Drehpunkt.

In der Detailaufnahme kann man erkennen, wie die Ecke schön mitgefasst wurde.

Die Nähte werden noch ausgebügelt und fertig ist die französische Naht im Winkel. :)