Diesmal habe ich etwas ganz Feines: Eine Jacke nach Chanel-Art. Die Jacke – Teil des berühmten Kostüms von Coco Chanel – ist in seinem Ursprung eher leicht tailliert, die Ärmel hatten eine Teilungsnaht von der Schulter bis zum Saum und waren schmal geschnitten. Bordüren an den Kanten, Taschen in Brust- und Hüfthöhe sowie das Kettchen am Jackensaum gehörten selbstverständlich zu dem Klassiker dazu. Seit Karl Lagerfeld die Leitung der Haute Couture des Hauses Chanel übernommen hatte, erfuhr diese Jacke jedoch zahlreiche Variationen.
Entscheidend an dieser Art von Jacke ist seine Verarbeitung. Insofern kann ich schon mal vorausschicken, dass man ein Freund des Handnähens sein sollte, wenn man sich an ein solches Projekt wagen möchte. Das Futter wird mit dem Oberstoff verbunden, so dass ein unvergleichliches, geradezu luxuriöses Tragegefühle entsteht. Die Ausgestaltung der Jacke muss sich nicht sklavisch an das klassische Vorbild halten, da können persönliche Vorlieben reinspielen. Grundvoraussetzung ist ein wirklich(!) passender Schnitt, den man unbedingt vorher mit einem einfachen Stoff zur Probe nähen sollte – erst recht, wenn die Jacke später aus hochwertigen Materialien gefertigt werden soll.
Stoffempfehlung: Für den Oberstoff bspw. melierten Wolltweet oder Bouclé. Für das Futter kann es entweder die günstige Variante mit einfachem Futterstoff sein oder, deutlich teurer und edler, Seidenfutter, wie Pongé-Seide.
Meine Interpretation dieser Jacke ist eher schlicht gehalten, so dass in der folgenden Beschreibung der Verarbeitung nicht alle Elemente der Fertigung einer Chanel-Jacke aufgeführt werden.
Zuschnitt
Mein Stoff ist eine Woll-Polyester-Mischung, wobei das Polyester hauptsächlich aus Chenille-Fäden besteht. Er ist grob gewebt und verzieht sich ziemlich leicht. Zudem stellte sich heraus, dass Kreide so gar nicht gut auf dem Stoff halten will. Deshalb habe ich den Stoff einfach ausliegen und muss die Kanten mit Heftgarn im Reihstich markieren. Sollte der Stoff ein Karo haben, so muss er sowieso einfach liegen und die Karos sollten an den Nahtlinien übereinstimmen. (Ein Tutorial für den Karozuschnitt findet sich hier.)
Nach dem Markieren wird zugeschnitten, wobei ich sehr großzügige Nahtzugaben stehen lasse: An den Nähten mindestens 3 cm, an der Schulter 5 cm und an den Säumen füge ich auch noch mal ca. 2 cm hinzu. Das muss natürlich schon beim Auslegen der Schnittteile berücksichtigt werden, sonst wird’s ein bisschen knapp.
Mit dem Futter wird genauso verfahren, nur hier kann der Stoff natürlich doppelt liegen und sehr wahrscheinlich auch mit Kreide markiert werden. Das Futter sollte ebenfalls mit sämtlichen Passzeichen versehen sein.
TIPP: Hebt euch die Zuschnittreste auf (außer natürlich die Super-Winzteile), ihr werdet sie für diverse Nähproben noch brauchen.
Einlagen
Zurück zu dem Oberstoff. Dort stabilisiere ich die Armausschnitte und die hinteren und vorderen Halsausschnitte mit einem aufbügelbaren Formband mit Kettstich. Die Knopflöcher werden mit einer passenden Bügeleinlage verstärkt. Hier kommen dann zum ersten Mal die Zuschnittreste zum Einsatz: Am besten man testet einige in Frage kommenden Einlagen aus und prüft die Dicke und das Verhalten des Stoffes.
Futter quilten
Nun wird das Futter von hinten auf den Oberstoff gesteckt und mit groben Pikierstichen fixiert. Dabei habe ich mir währenddessen die Teile über den Oberschenkel gelegt, so dass das Futter durch die Rundung Mehrweite in der Höhe und Breite erhält. Das muss unbedingt sein, denn das Futter braucht die Mehrweite, um sich nach dem Quilten immer noch den Dehnungen des Oberstoffes anpassen zu können.
Die Quiltnähte können waagerecht, senkrecht und/oder rechteckig sein, das richtet sich ein wenig nach dem Webmuster des Oberstoffes. Die Abstände zwischen den Nähten sollten auch nicht zu eng sein, 3-4 cm sind ein grobes Maß. Desweiteren müssen zu den Nahtkanten (nicht die Kanten der Nahtzugaben!) Abstände eingehalten werden, um später die Nähte noch komfortabel schließen zu können. An den Schultern und zum Saumbruch ca. 5 cm, an den Seitennähten sind ca. 3 cm ausreichend. Bei den Ärmeln sollte es genauso eingezeichnet werden. Die Nahtlinien zum Quilten werden unter diesen Aspekten markiert.
Nun sucht man sich aus den Zuschnittresten, Oberstoff und Futter, etwas längere Teile aus und pikiert sie miteinander wie bei den Schnittteilen. Mit diesem Stück müsst ihr den passenden Füßchendruck ermitteln. Genäht wird auf der Oberstoffseite und das Füßchen sollte den Oberstoff nicht vor sich her schieben, sonst staut sich der Oberstoff zunehmend. Wenn alle Einstellungen passend sind, kann’s mit dem Quilten losgehen.
Die Nähten werden am Anfang und am Ende nicht verriegelt und die Fäden jeweils etwas länger stehen gelassen. Nach dem Nähen klappt man den Oberstoff und das Futter auseinander, zieht die beiden Fadenenden nach innen zwischen die beiden Stofflagen und verknotet sie dort. Die Fadenenden werden anschließend eingekürzt.
Nach dem Quilten werden alle Teile sorgfältig abgedämpft. Nun müssen die Papierschnitte nochmals aufgelegt werden, um die markierten Nahtlinien zu überprüfen. Durch das Quilten, so ordentlich es auch genäht sein mag, verzieht sich der Stoff immer noch ein wenig, was jetzt korrigiert werden muss. Deshalb waren die Nahtzugaben im Zuschnitt auch so großzügig. Eventuell verschiebt sich die eine oder andere Nahtkante, dabei sind die Passmarken zu den angrenzenden Schnittteilen zu berücksichtigen.
Säume und Kanten stabilisieren
Die Säume an der Jacke und an den Ärmeln werden mit Organza stabilisiert. Die Vorgehensweise habe ich in einem früheren Artikel näher beschrieben und kann dort nachgelesen werden.
Die vordere Kante bekommt zur Verstärkung ein gefaltetes Baumwollschrägband. Auch das habe ich schon mal beschrieben: in dem Absatz “Die Kanten verstärken“.
Paspelknopflöcher
Bevor die einzelnen Teile zusammengenäht werden, arbeite ich die Paspelknopflöcher ein. Das geht so einfacher, als wenn die ganze Jacke dranhängt. Die Jacke muss nicht zwingend Paspelknopflöcher haben, da entscheiden der generelle Stil der Jacke und die eigenen Vorlieben.
Auch in Bezug auf die Knopflöcher sollte an Zuschnittresten probegenäht werden, um sich spätere Überraschungen an der Jacke zu ersparen. Wenn mal wo reingeschnitten ist, ist es schwer wieder zu beheben.
Weiter geht’s zum Teil 2 der Chanel-Jacke.
Hallo und vielen Dank für deinen tollen Beitrag! Ich bin am vorbereiten für eine Jacke nach Vogue 8804. Der Schnitt hat 1.5 cm Nahtzugaben inbegriffen – blöd. Soll ich die nach Fertigung des Probemodells am Schnitt abschneiden, damit ich die Nahtlinien markieren kann? Nach Studieren deines Beitrags und auch dem Buch von Claire Shaeffer selbst ist es ja ratsam mehr als 1,5 cm anzuschneiden. Oder ich markiere die Schnittlinien mit Faden, schneide dann grosszügig und markiere nach Abnehmen des Schnittmusters auch noch die 1.5 cm Nahtzugabe?
Wäre froh über deine Meinung!
Hallo Ulrike, ja, manche Fertigschnitte haben die Nahtzugaben schon hinzugefügt, was ich persönlich sehr lästig finde. Du kannst deinen Schnitt nochmals auf Papier oder Folie übertragen und die angegebenen Nahtzugaben entfernen, dann hast du an allen Kanten deine Nahtlinie. Ich fertige meine Schnitte immer ohne Nahtzugabe und bin somit wesentlich flexibler beim Zuschnitt. Mit dem kopierten Schnitt fertigst du dein Probeteil – da solltest du aber beim Zuschnitt wieder Nahtzugaben hinzufügen. Sollten sich noch Änderungen ergeben, so überträgst du diese auf den Schnitt. Sofern dein Probemodell passt und du alle Änderungen auf deinen Schnitt übertragen hast, würde ich die Nahtlinien, Passmarken und Fadenlauf mit Heftfaden auf den Stoff übertragen. Das ist zwar wahnsinnig viel Arbeit, aber für die weitere Verarbeitung dauerhafter als Kreide. Als Nahtzugabe würde ich bis zu 3 cm zuschneiden. Auch die Saumzugabe solltest du verlängern. Ich lege meinen Schnitt im Fadenlauf auf den Stoff, beschwere ihn mit Gewichten und reihe dann mit Heftgarn entlang der Nahtlinie. Die weitere Verarbeitung ist dann wie beschrieben.
Kurz zusammengefasst: du arbeitest mit einem Schnitt ohne Nahtzugabe und fügst diese erst beim Zuschnitt hinzu. Nach dem Quilten des Futters auf den Oberstoff legst du den Schnitt wieder auf und korrigierst die Nahtlinien und reduzierst gegebenenfalls die Nahtzugaben. ich wünsche dir viel Erfolg mit deiner Jacke!
Vielen Dank für die rasche Antwort. Die letzte Woche hab ich mit der Nesseljacke zugebracht. Mit dem Originalschnitt genäht und festgestellt dass die Grösse sehr grosszügig ist. Alles nochmal in der kleineren Grösse genäht. Jetzt passt am Oberkörper, Ärmel etwas kurz. Jetzt werde ich mir den Schnitt ohne Nahtzugabe kopieren und die Änderungen einbeziehen. Ich seh schon, eilig darf man es nicht haben…
Werde wieder berichten.
Gruss
Hallo Ulrike, nein, eilig darf man es wirklich nicht haben. Ich bin gespannt auf den weiteren Verlauf.
Danke für diese exzellent Anleitung und Fotodokumentation. Es macht mir Mut, dueses Projekt zu beginnen.
Hallo,
bin gerade erst auf Ihre Seite gestoßen und freue mich bei Ihnen eine klar verständliche Anleitung für eine Chanel-Jacke zu finden. Die zu nähen – das reizt mich schon lange. Abgeschreckt hat mich bisher lediglich die Anleitung in Englisch, da ich die Sprache nicht so gut beherrsche und diese Art zu nähen ja nicht gerade alltäglich ist. Aber nun werde ich es einmal wagen. Danke vielmals auch für die Tipps, die Sie schon zu den einzelnen Kommentaren gegeben haben. Das ist wirklich sehr hilfreich für Hobbyschneider.
Nochmals Dankeschön, auch dass sie sich die Zeit genommen haben die Videos anzuschauen!! Ich War nun heute im Stoffgeschäft und habe einen tollen Wollstoff bekommen, der wohl Mal im Atelier Versace übrig geblieben ist, er ist ziemlich dick aber auch leicht und locker gewebt, was hoffentlich dazu führt, dass man die quiltnähte später nicht sieht.
Das hört sich ja toll an. Ich wünsche viel Erfolg!
Vielen Dank für die schnelle Antwort, ergibt Sinn! Hier der Link zu den beiden Videos die mich zu der Frage gebracht haben:
https://youtu.be/19W7fvOBG0c
https://youtu.be/UIYSW9_CCCI
Beim ersten Video ist nicht explizit zu sehen, ob das Futter gequiltet ist oder nicht (die lassen sich auch nicht so ohne weiteres in die Karten schauen ). Beim zweiten Video ist sehr wohl zu sehen, dass das Futter zumindest mit Heftfaden an das jeweilige Oberstoffteil fixiert ist, die Futternähte sind auch noch offen, d.h. die werden später mit der Hand geschlossen. Am Ende kann man einen kurzen Blick in die Jacke erhaschen, da sieht es so aus, als gäbe es keine Quiltingnähte. Das kann ich mir durchaus als Variante des Fütterns vorstellen, vor allem dann, wenn das Oberteil aus mehreren Teilen besteht und für eine schlanke Person ist. Dann sind die mittleren und seitlichen Teile so schmal, dass es fast nicht lohnt, diese zu quilten. Wenn du diese Variante probieren möchtest, so tue das. Erfahrungen sammelt man am besten, indem man die Dinge ausprobiert. Ich werde mir das auf jeden Fall auch mal merken für Jacken, die einen glatteren Oberstoff haben und bei dem man die Quiltingnähte sehen würde. Eine gute Idee!
Hallo:) ist es auch möglich erst die Jacke komplett aus dem Oberstoff zu nähen, anschließend das Futter zu verstürzen und es am Ende dann zu quilten (natürlich auch erst über dem Oberschenkel heften um die gewünschte Mehrweite im Futter zu erreichen)?
Beim orginal wird das Futter nämlich irgendwie erst ganz am Ende nach der letzten Anprobe eingenäht
Hallo Vince, aus praktischen Gründen sollte das Futter vor dem Zusammennähen mit dem Oberstoff verquiltet werden. Es können sich durchaus Ungleichheiten in Weite und Länge ergeben, deren Ausgleich bei einer schon fertig genähten Jacke schwierig werden. Leider hatte ich noch nicht das Vergnügen Mäuschen im Atelier Chanel zu sein, gehe aber davon aus, dass bei der Anprobe alle Teile nur geheftet sind. Nach Überprüfung der Passform werden diese wieder auseinander genommen und gemäß der Anprobe fertiggestellt. Bei einer „normalen“ Jacke wird das Futter natürlich separat gearbeitet und erst am Ende eingenäht.
Hallo,
soweit ich weiß, wird das Futter am Ende von Hand anstaffiert, d.h. es wird „unsichtbar“ mit Handstichen eingenäht.
Auch wenn der Post schon älter ist, ist es viel hilfreich für jemanden.
Der Artikel besteht aus zwei Teilen, das Futter wird ausführlich in Teil 2 besprochen. Folge einfach dem Link unter diesem Post, oder gehe hier lang -> http://www.formgeben.de/chanel-jacke-teil-2/